DIE WEISSE HÖLLE VOM PIZ PALÜ (1929)

Deutschland 1929
Regie: Dr.Arnold Fanck und Georg Wilhelm Pabst
Mit Leni Riefenstahl, Gustav Diessl, Ernst Petersen, Ernst Udet u.a.
Dauer: 133 min

Hinter diesem seltsam reisserischen Titel verbirgt sich ein unausgeglichener Film, der zwischen echter Grösse und zähflüssigem Pathos laviert. Und – einer der grossen deutschen Stummfilmklassiker.

Die respektlose Eingangszeile meines Textes offenbart schon, dass ich trotz des Prädikats Meisterwerk, mit dem dieser Film gemeinhin bedacht wird, keinen Respekt zeige und nicht in Ehrfurcht zu erstarren gedenke. Das pflege ich allgemein nicht zu tun.
Jedenfalls nicht, weil mehrere Cinéasten gesagt haben, wie gross und grandios dieser Film ist.
Damit keine falschen Erwartungen aufkommen: Ich will den Ruhm dieses Werks hier nicht niederreissen. Das Werk hat Grösse, zweifellos. Nur halt nicht von A bis Z. Um es auf den Punkt zu bringen: Kürzungen hätten nicht geschadet.

Ja wer ist er denn, so etwas zu behaupten, höre ich da die Gralshüter der Filmkunst sich empören.
Ja, wer bin ich denn? Ich sehe mich als Zuschauer, als Rezipient dieses Films; für solche wie mich wurde der Film gemacht – nicht für die Film-Museumswärter. Und als bescheidener Zuschauer finde ich Piz Palü bisweilen – vor allem im letzten Viertel – etwas sehr zäh, langfädig und künstlich aufgeblasen. Das darf gesagt werden.

Ich bin, was Filme betrifft, ein durchaus geduldiger Mensch, den man mit tollen Bildern lange bei der Stange halten kann. Aber wenn der endlose Blick auf den wolkenverhangenen Berg zum x-ten Mal die Handlung unterbricht, werde ich ungeduldig. Ebenso, wenn das damalige Flieger-Ass Ernst Udet die Handlung aufhält, indem er mit dem x-ten Looping seine Flugkünste unter Beweis stellt. Was damals möglicherweise neu und aufregend war, wirkt heute überflüssig und schwer erträglich. Einige der Zwischentexte in diesem Film kommen zudem etwas gar gestelzt daher und erscheinen in ihrem Pomp aus heutiger Sicht lächerlich („Der Berg tobt“).

So. Und nun zum Positiven.
Der Film hat grossartige Momente, zweifellos! Bis auf die letzten vierzig Minuten war ich fasziniert, gefesselt und begeistert. Die Szenenfolge des Aufstiegs zum Palü ist vom Schnitt und Rhythmus her hervorragend. Und die Bilder der nächtlichen Suchaktion der fackelbewehrten Dorfbewohner gehören zu den eindrücklichsten, die ich je in einem Film gesehen habe. Der Abstieg in die Gletscherspalte und die Bergung der toten Alpinisten ist absolut einmalig und unvergleichlich; er erscheint wie ein Abstieg in die Hölle und brennt sich wohl jedem Zuschauer, jeder Zuschauerin unauslöschlich in Gedächtnis ein. Da zeigt der Film zweifellos Grösse, deswegen sollte man ihn gesehen haben.
Wie gesagt, Kürzungen hätten dem Film, so finde ich, gut getan. Es exsistiert eine gekürzte Fassung von 80 Minuten, die für den amerikanischen Markt hergestellt wurde. Offenbar wurde dort vor allem ein Grossteil der zahlreichen Landschaftsaufnahmen herausgeschnitten.

Und hier noch einige Hintergrund-Angaben für Interessierte:
-Der Regisseur Dr. Arnold Fanck hat das Genre des Bergfilms entscheidend geprägt. Er entdeckte sowohl Leni Riefenstahl als auch Luis Trenker, die beide später eigene Filme realisierten und während der Nazi-Herrschaft unrühmliche Rollen spielten. Fanck dreht seine Filme zur Hauptsache im Freien, dies in einer Zeit, in welcher die meisten anderen Regisseure im Studio filmten.
-Das Dr. in Dr. Rudolf Fanck stammt von seiner Promotion in Geologie (1915 in Zürich).
-Der berühmte Regisseur G.W. Pabst (Lulu) fungierte hier als Co-Regisseur und war vor allem für die (wenigen) Innenaufnahmen und die Schauspielerführung zuständig. Dass die grossartige Sequenz der nächtlichen Rettungsaktion auch von ihm stammt, kann aufgrund einer Aussage des Kameramanns Sepp Allgeier zwar angenommen werden, es geht aber nicht klar daraus hervor.

Die DVD: Der Film wurde 1997 aufwändig restauriert und in seiner Urfassung wiederhergestellt. Diese Version findet sich auf der vorliegenden DVD von Arthaus, zusammen mit der Orchestermusik, welcher der australische Komponist Ashley Irwin für die Wiederaufführung 1997 geschrieben hatte. Die Bildqualität der DVD ist sehr gut; das Bild ist klar und scharf mit hervorragender Tiefenschärfe. Irwins Begleitmusik ist zwar pompös, passt aber hervorragend zum Film. Eine weitere begeisternde Stummfilmmusik! Die DVD kann hier erworben werden, derzeit für gerade mal 10 Euro!

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