ODNA (1931)

UdSSR 1931
Regie: Grigori Kosinzew und Leonid Trauberg
DarstellerInnen: Jelena Kuzmina, Sergei Gerassimov, Pjotr Sobolewski u.a.
Musik: Dmitri Schostakowitsch
Dauer: 90 min

Odna stammt aus dem Tonfilmjahr 1931 – und gilt doch als Stummfilm. Mit den Dreharbeiten wurde 1929 begonnen, der Film war bereits fertiggestellt, als beschlossen wurde, zumindest Geräusche und einige Dialogfetzen beizufügen. Man könnte den Film also als „Stummfilm mit Geräuscheffekten“ betiteln.

Odna beginnt fulminant: Die Sequenz, die in der Stadt spielt ist hervorragend, packend, originell, mit starken, sprechenden Bildern. Die angehende Lehrerein Jelena (Jelena Kuzmina) trifft sich mit ihrem Freund, und beide planen ihr zukünftiges schönes Leben in der Stadt. Doch dann wird Jelena vom Staat per Dekret nach Sibirien verpflanzt. Sie soll der ländlichen Bevölkerung Lesen, Schreiben und wohl auch die Vorzüge des noch jungen Sozialismus beibringen (Odna wurde klar als Propagandafilm konzipiert).

Schnitt. Jelenas Eintreffen in Sibirien ist ebenfalls in grandiose, teils unvergessliche Bilder gefasst. Doch in Sibirien verlangsamt sich der Rhythmus des Films erheblich, er wird träge. Einstellungen werden über Gebühr und ohne erkennbaren Grund wiederholt. Ab der Hälfte macht sich beim Zuschauenden doch langsam die Müdigkeit breit. Jelena deckt einen üblen Reibach auf, den einer der mächtigen Bauern mit dem Segen des Dorfältesten plant und wird deshalb buchstäblich von diesen in die Wüste geschickt, wo sie von einem Sturm überrascht wird.

Der Hauptgrund, weshalb ich mich für den Kauf dieser DVD entschied, war die Filmmusik von Dmitri Schostakowitsch – meines Lieblingskomponisten. Deswegen hat sich der Kauf auch durchaus gelohnt.
Der Film selbst… nun, es ist schwierig bis unmöglich, ihn zu beurteilen. Ein entscheidender Teil (ein ganzer Akt) davon ist verschollen. Und aus Erfahrung weiss ich, dass fehlende Sequenzen den Gesamteindruck eines Films entscheidend verändern oder verfälschen können.

So, wie er sich jetzt präsentiert, zieht er sich je länger je mehr in die Länge. Der fehlende Teil beinhaltet eine Sturmsequenz, die bestimmt zu den eindrücklichsten Momenten des Films gehört; sie stand an einer Stelle, die auf eine relativ trockene und ausführliche Sequenz mit Schafen und Landschaft und wortkargen Bauern folgt, mit anderen Worten, die dramaturgisch geschehen wohl genau an der richtigen Stelle sass, um das Publikum wieder zu packen, denn danach folgt erneut ein relativ zäher Teil mit Schafen, wortkargen Bauern und Landschaft.
So, wie sich der Film jetzt präsentiert bekommen wir: Schafe, Bauern, Landschaft – ein Defilé teils geschwätziger schwarzer Texttafeln, auf denen die fehlende Sturm-Sequenz zusammengefasst wird – danach wieder Schafe, Bauern, Landschaft. Nur die aufwühlende Musik Schostakowitschs zeugt von der Dramatik der fehlenden Szenen.

Man verstehe mich bitte nicht falsch: Mir ist der hohe künstlerische Wert des Films bewusst und den will ich nicht schmälern. Doch sorgfältig komponierte Bilder machen für mich den Film noch nicht aus. Da braucht es auch eine gut erzählte Handlung und lebendige Figuren, an deren Schicksal ich Anteil nehmen kann. Ohne diese Ingredienzien funktioniert das Kino nur für Theoretiker und für Kulturbolschewisten, die in oben genannten „Zutaten“ den verderblichen Einfluss der amerikanischen Kultur sehen.

Von allen mir bekannten russischen (Propaganda-)Stummfilmen ist Odna der einzige, in welchem ein menschliches Schicksal im Zentrum steht (und nicht ein Traktor, ein Kriegsschiff oder die Idee des Sozialismus), aber so richtig aus Fleisch und Blut scheint sie doch nicht zu sein, diese Lehrerin Jelena. Richtig Anteil konnte ich jedenfalls nicht nehmen an ihren Erlebnissen; ich wüsste im Nachhinein auch nicht, welche besonderen charakterlichen Eigenschaften ich ihr zuweisen sollte. Die Beweggründe für ihr Tun blieben für mich im Dunkeln. Erst zuletzt wird klar: Sie soll die sozialistische Botschaft vom schönen Leben durch Fortschritt transportieren. Am Schluss steht plötzlich nicht mehr sie, sondern ein Flugzeug im Vordergrund, das vom Staat geschickt wurde, um ihr Leben zu retten. Rettung durch technischen Fortschritt im Sozialismus.

Die DVD-Ausgabe: Der Film ist auf einer DVD von absolut medien erhältlich – in sehr sorgfältig restaurierter Form. Auch die Filmmusik von Schostakowitsch, von der immerhin ein drittel verschollen ist, wurde restauriert und von der basel sinfonietta neu eingespielt. Ein tolles Unterfangen, auch wenn ich dem Film nicht so viel abgewinnen kann, Liebhaber des russischen Kinos oder speziell dieses Film werden begeistert sein, ihnen sei die DVD wärmstens ans Herz gelegt.

Es gibt als Zugabe einen 14-minütigen Trickfilm (Das dumme Mäuschen, 1939), zu dem Schostakowitsch ebenfalls die Muik komponiert hat und eine halbstündige Dokumentation über Schostakowitsch als Filmmusik-Komponist (Schostakowitsch – Revolutionär der Filmmusik).
Die DVD ist gerade für Freunde dieses Komponisten eine wahre Fundgrube. Ein 20-seitiges, teils informatives, teils etwas geschwätziges Booklet runden die schöne Sache ab. Zum bestellen hier klicken. Die DVD koset 19.90 Euro plus Versand.

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